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Sommerfest 2013 in Cadolzburg

Unser diesjähriges Sommerfest fand in der zu einem Veranstaltungsraum umgebauten Scheune auf dem Bauernhof von Fritz in Cadolzburg statt.

Vier Mitarbeiter des Unternehmens Sehwerk nahmen als Akteure teil. Sehwerk ist ein Zusammenschluss von Reha-Trainern, die Blinden und Sehbehinderten  in Kursen oder Einzelschulungen lebenspraktische Fertigkeiten und natürlich das Gehen mit dem Langstock vermitteln. Fritz und Antje hatten bei Sehwerk Mobilitätstrainings absolviert. So war der Kontakt zustande gekommen.

Offizieller Beginn war um 14 Uhr. Wer früher kam, den führte Fritz zur Attraktion seines Hofs, der Koppel, bestehend aus Auslauf und Unterstand und bewohnt von einer vierköpfigen Eselsfamilie. Die niedlichen Eselskinder, Frida und Brunello, begrüßten uns zutraulich. Ihre Eltern, Bruno und Faris, hatten das Abteil dahinter.

Fritzen's Hof - ein Eselsparadies
Fritz mit einem der kleinen Esel eines der eselskinder
der andere kleine Esel Esel mit einigen Besuchern

Frida und Brunello waren es allem Anschein nach gewohnt, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen: Kein bisschen scheu kamen sie auf uns zu und genossen es, von uns gestreichelt und gekrault zu werden. Das weiche, samtige Fell fühlte sich angenehm an. Beide trugen das Eselsmerkmal, ein feines schwarzes Kreuz auf dem Rücken, das sich vom grauen Fell abhob.

 

Peu a peu trudelten die Teilnehmer ein. Die meisten brachten sehende Partner und Angehörige mit.

einige Teilnehmer vor dem eingang der Scheune, wo die Veranstaltung stattfand Kinder der Teilnehmer spielen auf dem Hof
Die Besucher trudeln ein. Das Familienfest - die Mitglieder haben ihre Angehörigen mitgebracht.

Nach der Begrüßung gab’s erst mal  zur Einstimmung Kaffee und Kuchen. Ein Team des Restaurants, das auch zum Anwesen gehört, hatte bereits das Kuchen-Buffet hergerichtet und sorgte für Kaffee und Tee. Einige der Teilnehmer, vor allem natürlich die sehende Partnerinnen, haben leckeren Kuchen mitgebracht, und Gerlinde, die bessere Hälfte von Fritz, hat bestimmt auch etliche Stunden mit Kuchenbacken zugebracht.

die Mitarbeiter von Sehwerk Besucher tun sich am Buffet Kuchen auf.
Mitarbeiter vom Sehwerk die Schlacht am Kuchen-Buffet

 

Das Programm von Sehwerk

Christoph begrüßt die Teilnehmer, die bei Kaffee und Kuchen sitzen Edith wendet die bouletten am Grill
Fritz begrüßt die Gäste am Grill: Edith wendet die Bouletten

Der schlimmste Hunger war beseitigt. Jetzt stellten die Vier vom Sehwerk-Team sich selber und ihr Programm vor. Reha-Trainer sind meist Einzelkämpfer. Es ist schon eine Ausnahme, wenn sie sich zu einem Service-Unternehmen wie hier Sehwerk zusammenschließen.

Vormittags hatten sie an einem langen Tisch rund ein Dutzend Stationen aufgebaut, an denen typische Probleme thematisiert wurden, mit denen Blinde und Sehbehinderte im Alltag konfrontiert sind.

Adressiert an die sehenden Begleiter, zeigten sie zunächst Ausschnitte ihrer Video-DVD. Eine Straßenszene verschwamm plötzlich zu einem unscharfen Bild, wie durch eine schmutzige Fensterscheibe betrachtet. So sehen Personen mit Makula-Degeneration ihre Umwelt. Oder das Bild verengte sich auf einen kleinen kreisrunden Ausschnitt, der über die Leinwand wanderte und– wie ein Scanner – die gesamte Szene segmentweise abtastete. Die Welt wird wie durch einen engen Tunnel gesehen, wenn man von Retinitis Pigmentosa betroffen ist. Die Begleiter sollten eine Vorstellung bekommen, wie ihre sehbehinderten Partner die Umwelt wahrnehmen.

Eine sehende Teilnehmerin probiert die Simulationsbrille an Dann versucht sie sich im Ertasten von Gegenständen
Eine sehende Teilnehmerin setzt sich die Simulationsbrille auf und versucht sich im Ertasten von Gegenständen.

Andere Clips demonstrierten, was der sehende Begleiter beachten sollte, wenn er mit einem Blinden auf eine Treppe trifft – aufwärts oder abwärts wenn er ihn/sie in einem Restaurant zu einem freien Platzt führt usw. Mein Fazit. - eine Menge eleganter Kniffe und Techniken, auf die man „im Prinzip“ eigentlich selber kommen könnte, was aber in der Praxis daran scheitert, dass es schwer fällt, sich in die Situation eines Blinden zu versetzen.

Dann ging’s zu den Stationen, wo nicht sehende  Besucher mit einem bunten Potpourri an Standardsituationen des Alltags konfrontiert wurden. Sehende Begleiter konnten die dabei auftretenden Probleme nachvollziehen, wenn sie sich beherrschten und bei der Bewältigung der Aufgaben nicht hinschauten.

Die Standbetreuer führten die Besucher spielerisch zur Lösung des jeweiligen Problems – didaktisch einfach genial. Jetzt verstand ich, wieso Fritz und Antje, die bei Sehwerk den Umgang mit dem weißen Stock erlernt hatten, so begeistert über die Kurse berichtet hatten. 

Kleingeld passend abzuzählen ist für Blinde und hochgradig Sehbehinderte häufig eine Herausforderung. Daher interessierte mich als erstes der sichere Umgang mit den Euro- und Cent-Münzen. Mein eigenes Verhalten an der Supermarkt-Kasse entspricht eher der kindlichen Methode. Ich klaub‘ den gesamten Münzvorrat aus meiner Geldbörse, halt ihn der ALDI-Kassiererin vor die Nase und bitte sie, die passenden Münzen rauszufischen. Das funktioniert immer und beschummelt wird man höchst selten, dank der „Bisshemmung“.

Es geht natürlich auch etwas gekonnter. Das ließ ich mir an diesem Stand zeigen. Dass die Münzen eindeutig charakterisiert sind durch Größe und Ausprägung des Randes wusste ich bereits, hatte aber bisher keine Lust, mich näher damit zu befassen. Der Herr von Sehwerk drückte mir drei Münzen in die Hand: 50 Cent, 1 Euro und 2 Euro. Klar – die 2 Euro-Münze ist die größte; die beiden anderen sind etwas kleiner. Das hilft aber nicht weiter, wenn man nur eine Münze in der Hand hat. Er forderte mich auf, den Rand zu befühlen, mit dem Fingernagel. So ginge es am besten. Aha! – Die 2 Euro-Münze ist rundum geriffelt; bei der 1 Euro-Münze wechseln geriffelte mit glatten Abschnitten ab und der Rand der 50 Cent-Münze ist wiederum durchgängig geriffelt. Als nächstes kamen die 10 und 20 Cent-Münzen dran – in etwa gleich groß. Die eine wies Kerben im gleichen Abstand auf, die andere war durchgängig strukturiert. Eine Systematik gibt es nicht. Man muss es sich erklären lassen und lernen. Die 20 Cent-Münze ist die mit den gleichmäßigen Kerben, die durchgängig geriffelte ist die 10 Cent-Münze.

Das Kleinvieh - 1 Cent, 2 Cent und 5 Cent – ließ ich außen vor. Nichts für einen Grobmotoriker wie mich. Alle Achtung! Der Stand-Animateur hatte es geschafft, dass ich das Identifizieren von Münzen als kurzweiliges Spiel empfand. Zu Hause hatte ich es schon mal unter dem Lesegerät probiert, fand das Gefummel aber ziemlich blöd und eine Logik konnte ich auch nicht entdecken. Die Leute haben’s wirklich drauf: ein Frage- und Antwortspiel mit eingestreuten Hinweisen. So wurde ich tastend zur Lösung hingeführt, die ich mir sogar merken konnte, weil ich sie mir ja selber erarbeitet hatte. Wirklich professionell! Aus Pennäler-Zeiten ist mir kein Lehrer mit vergleichbarem didaktischem Geschick in Erinnerung.

Zum Abschluss noch ein Test. Der Herr von Sehwerk gab  mir wieder einige Münzen. Ich sollte die 20 Cent rausfinden. – Ja, natürlich. Es war die kleinere mit den Kerben. Stimmte das auch? Es kam auf einen Versuch an. Der Bonbon-Spender am Stand akzeptierte nur 20 Cent-Münzen. Legte man eine ein und drehte den Hebel um 180 Grad, spuckte er zwei Bonbons aus. Ein krönendes Erfolgserlebnis.  Ich hatte mich noch selten so über zwei Bonbons gefreut.

Aber zurück in die verdammte Lebenswirklichkeit. Der Blinde steht an der ALDI-Kasse und fummelt sorgfältig seine Münzen durch. Bei einem krummen Betrag kann sich das hinziehen. Die Dame an der Kasse kriegt langsam Zustände und die Ungeduld in der Warteschlange wächst. Perfekt alltagstauglich ist die Fummellösung nicht.

Abhilfe schafft die Münzbox. Jede Münzsorte hat ein eigenes Fach. Sortiert der blinde die Münzen richtig ein (und falsch geht es faktisch gar nicht), entnimmt er der Box an der Kasse genauso flugs den richtigen Betrag wie der Sehende, der in seiner Geldbörse nach Münzen kramt. Ein Pferdefüßchen hat diese clevere Erfindung trotzdem. Zwar wird die ALDI-Kassiererin nicht mehr gestresst, dafür die Hosentasche. Denn die Box muss ja stabil sein und ihre Kanten scheuern mit der Zeit das Futter durch.

Mein Fazit: ich bleib erst mal bei meiner Primitivmethode. Aber wenn ich eine bestimmte Münze brauch‘, zum Beispiel, um am Einkaufswagenpark vor dem Supermarkt einen Wagen auszulösen, dann weiß ich jetzt, wie ich die richtige Münze find‘.

Mitarbeiter von Sehwerk am Infostand An einem der Infostände werden Kartoffeln geschält
Mitarbeiter von Sehwerk am Infostand Teilnehmer üben Kartoffelschälen für Blinde

Das machte wirklich Spaß. Ich ging an einen anderen Stand, wo man lernen konnte, wie man als Blinder Kartoffeln sauber schält. Die Schwierigkeit ist ja, dass man bei einer weitgehend geschälten Kartoffel die letzten Schalenreste nicht mehr erkennt, weil sich die gesamte Oberfläche gleich anfühlt. Das Problem besteht darin, dass beim Schälen ein Schmierfilm von Stärke die Oberfläche der Kartoffel überzieht und die Schalenreste verbirgt. Der gewitzte Hausmann taucht die Kartoffel ab und zu in eine Wasserschüssel. Der Stärkefilm wird abgespült und die Schalenreste werden wieder spürbar und können einwandfrei entfernt werden. Wow!

Das Zerlegen von Äpfeln wollte ich noch ausprobieren. Dafür gibt es ein praktisches Hilfsmittel, das auch Sehende benutzen. Es besteht aus zwei konzentrischen Metallringen, verbunden durch Speichen. Die Unterseiten der Metallteile sind scharfkantig. Man setzt das Teil so auf den Apfel, dass der kleinere Ring den Stil umschließt, und drückt es durch den Apfel. Das Kernhaus wird abgetrennt und die Apfelscheiben fallen auseinander.

Ich hätte auch noch lernen können, wie man Pfannkuchen oder Burger in der Pfanne wendet. Da ich weder die Kunst der Pfannkuchen- noch die der Burger-Herstellung beherrsche, komm‘ ich auch nicht in Verlegenheit, sie in einer Pfanne wenden zu müssen. Ein Beispiel für das Vermeiden von Problemen durch Unwissenheit.

Und wie man Flüssigkeiten abmisst, hätt‘ ich mir an einer weiteren Station reinziehen können. In der einfachen Version kommt man mit Gläsern für alkoholische Getränke aus. Ein Schnapsglas fasst zwei Deziliter. Für größere Volumina greift man auf Wein- und Biergläser zurück: ein Achtel Wein, ein Viertel Wein, eine Halbe (Bier) und schließlich den Maßkrug vom Oktoberfest. Wer’s genauer braucht, findet im Hilfsmittel-Handel Messbecher mit kontrastreichen Markierungen oder er / sie wiegt die Flüssigkeit auf der sprechenden Waage ab.

Alle Stationen konnt‘ ich mir beim besten Willen nicht merken. Es ging auch ganz schön zu und  hin und wieder musste man an einem Stand anstehen. Denn das Interesse war riesengroß – so groß, dass sich das weitere Programm um rund eine Stunde verschob. Jeder war begeistert von der pädagogischen Kompetenz der Sehwerk-Truppe und ließ sich gerne zum spielerischen Erarbeiten neuer Fertigkeiten animieren.

Gegen 17 Uhr baute das Restaurant-Personal das Grill-Buffet auf. Neben Steaks und fränkischen Bratwürsten gab es eine reichhaltige Auswahl an frischen Salaten. Toll gemacht und lecker. Und dazu ein Weizen. So konnt‘ man’s aushalten. Es hat hervorragend geschmeckt.

Sehende Teilnehmer mit Simulationsbrille beim Hindernislaufen mit dem Langstock Sehende Teilnehmer mit Simulationsbrille beim Hindernislaufen mit dem Langstock
Sehende Teilnehmer mit Simulationsbrille finden mit dem Langstock ihren Weg durch einen Hin dernis-Parcour.

Den Abschluss bildete der Langstock-Slalom, in erster Linie als Herausforderung für die sehenden Begleiter gedacht. Die Sehwerk-Truppe hatte auf der Empore des Saals einen Parcours aus Tischen und Stühlen aufgebaut. Die Sehenden, die sich trauten, kriegten einen Langstock in die Hand gedrückt. Ihr Sehvermögen wurde durch Brillen dem unseren angeglichen. Eine Dunkelbrille simulierte Blindheit. Daneben gab  es Brillen, die wahlweise die Sicht eines AMD- oder RP-Betroffenen erzeugten. „Eine interessante Erfahrung“, wie viele berichteten, die den Parcours gemeistert hatten.

einige der Teilnehmer auf dem Hof Gruppenfoto im Nieselregen
im Vorraum der Scheune Gruppenfoto im Nieselregen

Für das Gruppenfoto im Freien war Eile geboten. Denn es begann zu nieseln.

Der herzliche Dank aller Teilnehmer – nicht nur für Speis und Trank – geht an Fritz und seine Familie, die Gastgeber, das Personal des Restaurants und insbesondere an die Mitglieder von Sehwerk, die unser Sommerfest zu einem interessanten Erlebnis gemacht haben (aber natürlich auch an Frida und Brunello, die beiden Eselchen,  für ihre Zutraulichkeit).

 

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